Barrierefreiheitsstärkungsgesetz 2025: Digitale Barrierefreiheit verpflichtend

Barrierefreiheitsstärkungsgesetz 2025: Digitale Barrierefreiheit verpflichtend
Digitale Barrierefreiheit gewinnt rasant an Bedeutung – gesellschaftlich und nun auch gesetzlich. Rund 87 Millionen Menschen in der EU leben mit einer Behinderung, hinzu kommt eine alternde Bevölkerung. Für sie alle sind barrierefreie digitale Produkte und Services entscheidend, um gleichberechtigt am modernen Leben teilzuhaben. Bisher galten in Deutschland vor allem für Behörden (etwa per BITV, der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung) konkrete Vorgaben zur Web-Barrierefreiheit. Ab 2025 werden nun auch private Unternehmen in die Pflicht genommen: Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz 2025 (BFSG) setzt die EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit (European Accessibility Act, EAA) in nationales Recht um und soll sicherstellen, dass digitale Produkte und Dienstleistungen für alle Menschen zugänglich sind.
Gesetzlicher Überblick: BFSG 2025 und European Accessibility Act
Mit dem 2021 beschlossenen BFSG wird der European Accessibility Act (Richtlinie (EU) 2019/882) in Deutschland umgesetzt. Der EAA zielt darauf ab, einheitliche Barrierefreiheits-Standards in allen EU-Ländern zu schaffen, wo vorher oft unterschiedliche oder widersprüchliche Vorschriften galten. Einheitliche Regeln sollen den Binnenmarkt stärken und insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen helfen, barrierefreie Angebote EU-weit einfacher bereitzustellen.
Der Geltungsbereich des EAA (und damit des BFSG) erstreckt sich auf jene Produkte und Services, die für Menschen mit Behinderungen am wichtigsten sind. Dazu zählen unter anderem technische Produkte wie Computer, Smartphones oder Geldautomaten sowie digitale Dienstleistungen wie Telefondienste, Bankdienstleistungen, E-Books, der Online-Handel und mehr. Durch das BFSG werden diese Anforderungen verbindlich: Unternehmen müssen sicherstellen, dass die aufgeführten Produkte und Dienste ab Juni 2025 die definierten Barrierefreiheitskriterien erfüllen.
Was schreibt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz vor?
Kern des BFSG ist die Vorgabe, dass alle betroffenen Produkte und Dienstleistungen barrierefrei gestaltet sein müssen. „Barrierefrei“ bedeutet hier, dass sämtliche Informationen und Funktionen für Nutzer mit verschiedenen Einschränkungen wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust zugänglich sind – so lauten die vier Prinzipien der internationalen Web Content Accessibility Guidelines (WCAG). Technisch orientiert sich das BFSG an etablierten Standards: Eine eigene Verordnung (BFSGV) konkretisiert die Anforderungen und verweist auf die europäische Norm EN 301 549, die im Wesentlichen den WCAG 2.1 Richtlinien (Konformitätsstufe AA) entspricht. Websites oder Software, die WCAG 2.1 AA erfüllen, gelten somit in der Regel als BFSG-konform.
Unternehmen, die unter das Gesetz fallen, sind verpflichtet, ihre Angebote an diese Kriterien anzupassen. Praktisch heißt das zum Beispiel: Bedienelemente müssen für Assistenztechnologien nutzbar sein, Bilder benötigen Alternativtexte, Videos Untertitel etc. Auch müssen Anbieter eine leicht auffindbare Erklärung zur Barrierefreiheit veröffentlichen, in der sie den Umsetzungsstand darlegen. Die Barrierefreiheits-Standards gelten nicht nur für die Benutzeroberflächen selbst, sondern auch für bereitgestellte Inhalte und Dokumentationen – etwa Produktinformationen, Nutzungsanleitungen oder vertragliche Dokumente müssen für Menschen mit Behinderungen zugänglich sein (z.B. als barrierefreie PDF).
Ab wann gilt die Pflicht zur digitalen Barrierefreiheit?
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz gilt ab dem 28. Juni 2025. Ab diesem Stichtag dürfen alle neu in Verkehr gebrachten Produkte und neu angebotenen Dienste nur noch barrierefrei angeboten werden. Wichtig: Bereits zuvor bereitgestellte Angebote genießen zum Teil Übergangsfristen. Für bestimmte bestehende Dienstleistungen räumt das Gesetz eine Frist von zusätzlichen fünf Jahren ein, und für vorhandene Selbstbedienungs-Terminals (z.B. Geld- oder Ticketautomaten) sogar bis zu 15 Jahre. Das bedeutet, ein im Jahr 2020 installierter Ticketautomat dürfte beispielsweise bis 2035 weiter genutzt werden. Spätestens nach Ablauf dieser Übergangszeiten müssen jedoch auch solche älteren Systeme barrierefrei sein bzw. ausgetauscht werden.
Wen betrifft der European Accessibility Act?
Der EAA – und somit das BFSG – richtet sich an nahezu alle Unternehmen, die Produkte oder Dienstleistungen für Endverbraucher anbieten. Konkret fallen Hersteller, Importeure und Händler der genannten barrierefreiheitsrelevanten Produkte sowie die Erbringer der genannten Dienstleistungen unter das Gesetz. Kleinstunternehmen (weniger als 10 Mitarbeiter und unter 2 Mio. € Jahresumsatz) sind von den Vorgaben für Dienstleistungen zwar ausgenommen; bringen sie jedoch eines der betroffenen Produkte in Umlauf, gilt das BFSG auch für sie.
Wichtig ist, dass es nur um den B2C-Bereich geht – also um Angebote, die sich an Verbraucher richten. Reine B2B-Angebote oder private, nicht-kommerzielle Websites sind nicht vom BFSG erfasst. Unternehmen sollten jedoch genau prüfen, ob einzelne Teile ihres Online-Auftritts unter die Definition eines „Dienstes im elektronischen Geschäftsverkehr“ fallen. Beispielsweise kann auch ein Online-Buchungssystem oder ein Kunden-Login auf einer ansonsten informativen Website als verbrauchergerichteter Dienst gelten und müsste dann barrierefrei sein.
Anforderungen im Detail: Was muss barrierefrei sein?
Das BFSG definiert klar, welche Bereiche ab 2025 barrierefrei sein müssen. Ein Überblick der wichtigsten Kategorien:
- Websites und Online-Shops: Alle digitalen Dienste des elektronischen Geschäftsverkehrs – z.B. E-Commerce-Websites, Buchungsplattformen oder Kundenportale – müssen die Barrierefreiheitskriterien erfüllen. Dies betrifft auch die entsprechenden mobilen Websites und Web-Apps. Nutzer sollen z.B. Waren in einem Online-Shop ohne Barrieren suchen, auswählen und bestellen können.
- Mobile Apps im Dienstleistungsbereich: Mobile Anwendungen, die Verbrauchern dienen, unterliegen ebenfalls den Vorgaben. Insbesondere Apps im Personenverkehr (z.B. ÖPNV-Fahrplan- oder Ticket-Apps) sowie Shopping- und Banking-Apps müssen barrierefrei gestaltet sein.
- Selbstbedienungs-Terminals: Interaktive Automaten wie Geldautomaten, Fahrkarten- oder Check-in-Automaten sind barrierefrei bereitzustellen. Konkret bedeutet dies etwa: Bedienpanels müssen auch für blinde oder körperlich eingeschränkte Menschen nutzbar sein (z.B. durch taktile Beschriftungen, Sprachausgabe und ausreichende Bewegungsfreiräume für Rollstuhlfahrer).
- Hardware und Software: Technische Endgeräte wie Computer, Notebooks, Tablets, Smartphones sowie deren Betriebssysteme fallen ebenfalls unter die Produktanforderungen. Neue Geräte dürfen ab dem Stichtag nur noch in den Verkehr gebracht werden, wenn sie barrierefrei bedienbar sind. Dazu zählt auch, dass mitgelieferte Software und vorinstallierte Apps zugänglich sind (Stichwort: Assistive Technologien wie Screenreader müssen unterstützt werden).
- Dokumente und Medien: Alle dem Verbraucher bereitgestellten Informationen – von Benutzerhandbüchern und PDF-Formularen bis zu Multimedia-Inhalten – müssen in zugänglicher Form vorliegen. Beispielsweise sind PDF-Dateien mit korrekter Überschriftenstruktur und Tags für Screenreader aufbereitet, und Videos sollten mit Untertiteln oder Audiodeskriptionen versehen werden. Auch Live-Online-Veranstaltungen (z.B. Webinare) sind nach Möglichkeit mit Untertiteln oder Gebärdensprachdolmetscher anzubieten, sofern sie Teil des Serviceangebots für Verbraucher sind.
Praxis-Tipps: So werden Produkte und Services barrierefrei
Unternehmen sollten frühzeitig mit der Umsetzung beginnen und Barrierefreiheit fest in ihre Prozesse integrieren. Die folgenden Maßnahmen – orientiert an den internationalen WCAG-Kriterien – helfen, digitale Angebote barrierefrei zu machen:
- Alternativtexte für Bilder: Stellen Sie sicher, dass Bilder und grafische Bedienelemente mit aussagekräftigen Alt-Texten versehen sind, damit sie von Screenreadern vorgelesen werden können.
- Tastaturbedienbarkeit gewährleisten: Alle Funktionen Ihrer Website oder App müssen vollständig ohne Maus nutzbar sein. Prüfen Sie z.B., ob sich Menüs, Formulare und Links per Tabulator-Taste erreichen lassen und visuell fokussiert sind.
- Ausreichende Kontraste verwenden: Achten Sie auf gut lesbare Schriftgrößen und hohe Farbkontraste zwischen Text und Hintergrund. Texte sollten auch bei Seheinschränkungen problemlos erkennbar sein (empfohlen sind Kontrastverhältnisse von mindestens 4,5:1 für Fließtext).
- Untertitel und Audiotranskripte bieten: Stellen Sie für Videos und Audio-Inhalte immer Untertitel bzw. Transkriptionen bereit, damit auch hörbehinderte Nutzer alle Informationen erhalten. Live-Videos können durch Live-Untertitelung oder Gebärdensprache übersetzt werden.
- Formulare und Navigation optimieren: Gestalten Sie Formulareingaben so einfach wie möglich – mit klaren Feldbeschriftungen, Hilfetexten und verständlichen Fehlermeldungen. Strukturieren Sie Inhalte mit Überschriften und Listen, und verwenden Sie eine einheitliche, selbsterklärende Navigation.
- Tests und Feedback einholen: Prüfen Sie Ihre digitalen Angebote regelmäßig mit automatisierten Tools (z.B. Lighthouse, WAVE) auf Barrierefreiheits-Probleme. Führen Sie manuelle Tests durch, indem Sie nur mit der Tastatur navigieren und gängige Screenreader einsetzen. Lassen Sie idealerweise auch Personen mit Behinderungen Testläufe durchführen und holen Sie deren Feedback ein.
- Mitarbeiter sensibilisieren: Schulen Sie Ihre Entwickler, Designer und Redakteure in barrierefreiem Gestalten. Barrierefreiheit sollte von Anfang an im Produktentwicklungsprozess mitgedacht werden – vom Design (z.B. ausreichende Kontraste, responsive Bedienung) bis zur Programmierung und Inhaltserstellung.
Fristen, Ausnahmen und mögliche Sanktionen
Fristen: Obwohl das Gesetz erst 2025 wirksam wird, ist die verbleibende Zeit knapp bemessen. Unternehmen sollten die Umstellungsfrist bis 28. Juni 2025 nutzen, um ihre Angebote zu überarbeiten. Für einige Bereiche gelten Übergangsfristen – so dürfen bestimmte bereits bestehende Dienstleistungen noch bis 2029/2030 weiterlaufen, und vorhandene Automaten können bis zu 15 Jahre ab Inbetriebnahme genutzt werden. Spätestens danach muss jedoch vollständige Barrierefreiheit gewährleistet sein.
Ausnahmen: Das BFSG sieht einige eng umrissene Ausnahmen vor. Kleinstunternehmen im Dienstleistungssektor bleiben – wie oben erwähnt – außen vor. Zudem können Unternehmen eine Befreiung beantragen, wenn die Erfüllung der Anforderungen eine „unverhältnismäßige Belastung“ darstellen würde. Dies ist beispielsweise denkbar, wenn die Umrüstung technisch extrem aufwendig oder wirtschaftlich untragbar wäre. Die Hürden für eine solche Ausnahme sind jedoch hoch: Die Betroffenen müssen detailliert nachweisen, warum die Barrierefreiheit im konkreten Fall nicht zumutbar ist. Insgesamt gilt, dass Barrierefreiheit die Regel und Ausnahmen tatsächlich die Ausnahme bleiben sollen, um die gleichberechtigte Teilhabe nicht zu gefährden.
Sanktionen: Die Einhaltung der Barrierefreiheitsvorgaben wird behördlich überwacht (Marktüberwachung durch die Bundesländer). Bei Verstößen drohen erhebliche Konsequenzen. Das BFSG stuft Verstöße als Ordnungswidrigkeit ein – es können Bußgelder von bis zu 100.000 € verhängt werden. In der Praxis soll die Behörde zunächst Gelegenheit zur Nachbesserung geben; bleibt eine erforderliche Korrektur aus, sind Strafzahlungen bis hin zu Vertriebs- oder Nutzungsverboten des betreffenden Produkts/Services möglich. Verbraucher haben zudem ein Klagerecht: Sie können sich bei der zuständigen Landesbehörde beschweren und – unterstützt durch Verbraucherverbände – notfalls vor Gericht die Einhaltung der Barrierefreiheit einfordern. Auch Verbandsklagen durch anerkannte Stellen sind ausdrücklich vorgesehen, um kollektive Verbraucherinteressen durchzusetzen. Unternehmen sollten Verstöße also unbedingt vermeiden, um rechtliche Risiken und Reputationsschäden auszuschließen.
Fazit und Handlungsempfehlung für Unternehmen
Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz 2025 wird digitale Barrierefreiheit zur Pflicht – und zwar europaweit einheitlich. Unternehmen sollten diese Entwicklung als Chance begreifen: Indem sie ihre Produkte und Dienstleistungen barrierefrei gestalten, erreichen sie neue Kundenkreise (z.B. Menschen mit Behinderungen und Senioren) und verbessern die User Experience für alle Nutzer. Barrierefreie Webseiten und Apps sind oft benutzerfreundlicher, was die Kundenzufriedenheit steigert und Abbruchraten senkt. Einheitliche EU-Standards reduzieren zudem langfristig Kosten, da nicht mehr jedes Land unterschiedliche Anforderungen stellt, und stärken die Wettbewerbsfähigkeit im Binnenmarkt.
Handlungsempfehlung: Unternehmen sollten frühzeitig prüfen, ob sie vom BFSG betroffen sind, und einen Umsetzungsplan aufstellen. Eine Bestandsaufnahme der aktuellen Websites, Apps und elektronischen Prozesse (etwa mittels BITV/WCAG-Checklisten oder einem professionellen Audit) deckt vorhandene Barrieren auf. Darauf aufbauend gilt es, schrittweise die notwendigen Anpassungen vorzunehmen – von technischen Änderungen im Front- und Backend über Anpassungen im Design bis zur Schulung der Mitarbeiter. Wichtig ist, Barrierefreiheit nicht als einmaliges Projekt, sondern als fortlaufenden Qualitätsaspekt zu verankern. Spätestens jetzt – noch vor 2025 – sollten Ressourcen und Budget dafür eingeplant werden.
Fazit: Digitale Barrierefreiheit ist kein „nice-to-have“ mehr, sondern ein zentraler Erfolgsfaktor. Wer frühzeitig handelt, vermeidet nicht nur Sanktionen, sondern profitiert von zufriedeneren Kunden, einem besseren Markenimage und nicht zuletzt vom Zugang zu einem stark wachsenden Marktsegment. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz 2025 schafft hierfür den verbindlichen Rahmen – die Umsetzung liegt nun bei den Unternehmen. Außerdem hilft die Umsetzung der digitalen Barrierefreiheit beim Inklusionsfit Audit.